Dienstag, 24. Juni 2014

Hat es sich ausgehipstert?

Prosumer, Hipster, Normcore, Metrosexuell, Spornosexuell. Es wird immer komplizierter und Trendforscher häufen uns ständig mit neuen Begriffen für aktuelle Strömungen und Gesellschaftstypen zu. Warum das am Ende eigentlich gar keine Rolle spielt.

David Beckham läutete einst die Geburtsstunde des metrosexuellen Mannes ein: Ein neuer moderner Mann, der sich gerne hegt und pflegt und ein Handtäschli trägt. Nun gut, diese Bewegung hatte sicher etwas Gutes, schliesslich ist Gender ein Konstrukt und sollte man das mit den Grenzen und Regeln immer nicht so eng sehen. Pink und Rosa für Männer? So what, darüber berichtete ich schon hier. Und man kann sagen was man will: David Beckham ist noch immer super sexy. Männer die es mit der Männlichkeit nicht so genau nehmen, sind definitiv attraktiver als Macho-Brüder. Doch scheinbar tut es der metrosexuelle Mann nicht mehr, und so wurde kürzlich der spornosexuelle Typ geboren (heisst: „when sport meets porn“, wunderschön! Beides übrigens Wortkreationen des britischen Journalisten Mark Simpson). Diese Gruppe von Männer könnte man ebenfalls als eitel bezeichnen, die viel Sport treiben und ihren Körper gerne definieren, nicht aber aufpumpen und ansonsten weniger Wert auf Kleidung und Styling im Allgemeinen legen. Meines Erachtens eine weniger begrüssenswerte Entwicklung, die nichts anderes zeigt, als dass die Körperfixiertheit und ein völlig überzeichnetes, künstliches Körperbild nun auch die männlichen Riegen eingenommen haben. Sind ein ganz kleines Wohlstandsbäuchlein und starke Hände nicht so einiges mehr wert? Ich schlafe jedenfalls lieber neben einem solchen Mann ein.

Anyway, der spornosexuelle Typ legt also weniger Wert auf Kleidung. Ganz anders ist da ja der Hipster, der eine Art Pendant zum spornosexuellen Mann darstellt: Beim Hipster geht es – ähnlich wie beim von Susan Sontag geprägten Begriff des Camp – nur noch um Stil, Hülle und Konsum, Inhalt und in eben diesem konkreten Fall dann auch der Körper und sein Erscheinen an sich treten (zumindest teilweise) in den Hintergrund. Stellt man sich den prototypischen Hipster mit Flanell-Hemd, Nerd-Brille, Bart und hochgekrempelter Jeans nicht ohnehin mit einem kleinen Bäuchlein vor? Der Hipster also, dem wird ja grad sein Tod prophezeit. Ist es wirklich aus und vorbei mit dieser Gattung? Thesen von Meta-Hipster und Follower und Leader verwischen das Ganze. Fest steht jedenfalls, dass das heutige Hipstertum rein gar nichts mehr mit Individualität zu tun hat und sich in einer völlig passiven Follower-Rolle befindet. Zudem ist er der beste Kapitalist überhaupt! Der Hipster ist so form- und steuerbar, Geld hat er meist auch (zwar nicht wahnsinnig viel, aber da es nichts über Style gibt, gibt er auch den letzten Rappen dafür aus) und er ist so fucking needy for trends, dass man ihm – natürlich im richtigen Hipster-Diskurs und von den richtigen Leadern präsentiert – so ziemlich alles vorsetzen kann, und er kauft, kauft und konsumiert. Halleluja! Noch nie konnte der Kapitalismus Individualität und Konsum so gut verschränken. Aber auch der Hipster wird ja jetzt abgelöst, nämlich vom Prosumer. Der nimmt eher eine Leader-Position ein, setzt Trends und sieht in die Zukunft. Welche Brands werden in zwei Jahren Trend sein? Der Prosumer weiss es. Prosumer heisst nichts anderes als „Produzent und Konsument“ in einem. Doch sind wir das nicht alle irgendwie? H&M hat dieses Jahr in Berlin das erste Starting-House eröffnet. Dort kann jeder (im Idealfall natürlich H&M-Konsument) mal vorbeischauen, inputten und ein paar Tipps abgeben. So oder so geht es aber darum, sich in den richtigen Diskurs einzuschreiben, seinen Style zu definieren und sich zu positionieren. Wir leben heute in einer hochgradigen ästhetisierten Welt und alles läuft und definiert sich über Konsum.

Auch wenn Prosumer wieder so ein Neologismus ist (wirklich neu ist der Begriff eigentlich nicht, er wurde 1980 vom Zukunfsforscher Alvin Toffler kreiert), der jetzt plötzlich auf der Bildfläche erschienen ist und alles zu verkomplizieren scheint, so finde ich an seiner Idee doch einen gewissen Gefallen. Und das obschon Begriffe ja selbst immer von uns gemachte Konstrukte sind, die beliebig und deshalb am Ende auch nicht wirklich wichtig sind. Schliesslich bringt der Prosumer das auf den Punkt, worum es in meinen Augen bei Mode, Trends und Konsum wirklich geht: Frisch von der Leber weg und sich viel weniger Gedanken um die Sanktionen machen. You wonna wear a golden dress on monday? Do it! You like trashy ghetto-gold jewelry? Wear it! Es geht um Vielfalt, eigene Ideen und vor allem: Mut – wie so oft im Leben. Meine aktuelle Mode-Ikone, die ich kürzlich kennen lernen und interviewen durfte, ist deshalb Julian Zigerli. Der Zürcher Designer hat es mit den Trends denn auch auf den Punkt gebracht: Whether you got it, or not. So ist das leider. Klar kann man das Auge schulen und Geschmack trainieren, doch Talent spielt eben auch eine Rolle. Zigerlis Kreationen erzählen Geschichten, sind Kunstwerke und mutige Neuschöpfungen. Auch gendertechnisch sind sie grossartige Vorbilder: Die sportlichen und bunten Männerkollektionen werden nicht selten auch von Frauen getragen, Lea Lu gehört etwa zu seiner Stammkundschaft. Und die Lieblingsfarbe des Designers ist Bubblegum-Pink – kein Wunder, haben wir uns da hervorragend verstanden. Und das mit dem Talent und dem you got it ist für mich auch mitunter ein Grund, warum ich „Sexand the City“ so grossartig finde. Kaum jemand schafft es so gekonnt wie Stylistin Patricia Field in dieser Serie, Mode-Trends individuell zu mixen und dem stets einen persönlichen, eigenen Touch zu geben.

So, und mein Fazit daraus: Stellt euch alle mal die Frage, auf einer Skala von 1-10, wie mutig bin ich?


Kreationen von Julian Zigerli aus der aktuellen SS14 Kollektion (man beachte: a lot of bubblegum-pink)

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